Spurensuche in Tann(Rhön)


Flyer, jüdisches Leben in Tann

Etwa seit dem Jahr 1600 sind Juden in den Gemeinden der hessischen Rhön urkundlich verbürgt, beginnend mit dem Leben als Schutzjuden in der reichsritterlichen Zeit. Hier in Tann belegt dies 1695 der „Judenayd“ bei den Reichsrittern von und zu der Tann. Die Juden hatten für das Bleiberecht Schutzgeld zu zahlen und wurden mit zusätzlichen Abgaben belastet, so dass sie etwa doppelt so hohe Steuern wie die christlichen Anwohner zu zahlen hatten.

Juden waren durch das christliche Zunftwesen aus dem Handwerk ausgeschlossen, so blieb ihnen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes meist nur der Handel mit Vieh und Kleinwaren. Nach der Französischen Revolution und deren gesellschaftlichen Errungenschaften setzte ein langsamer Prozess der Emanzipation ein mit der Hoffnung auf Gleichberechtigung der Juden. Das „Bayrische Judenedikt“ von 1813 gab den Juden nun eingeschränkte Bürgerrechte und Pflichten. Jedoch war die Anzahl der Familien, die sich hier niederlassen durften, streng reglementiert (Matrikelstellen). Erst durch den Tod eines Inhabers konnte eine Stelle neu besetzt werden.

Grundlegend wandelte sich die Stellung der Juden im gesellschaftlichen Leben 1871 nach dem Wegfall der konfessionellen Beschränkungen in der Reichsverfassung. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nutzte die jüdische Bevölkerung ihre neuen Rechte zu beruflichem, sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg.

So prägte sie 250 Jahre lang das Leben der Rhöner Landgemeinden mit.


Flyer jüdisches Leben in Tann

1575 Vertreibung der Juden aus dem Hochstift Würzburg
1671 Vertreibung der Juden aus dem Hochstift Fulda
1692 Erste Erwähnung jüdischer Familien in Tann in Anträgen auf Judenschutz
1695 „Judenayd“ dokumentiert in der Reichsritterschaft Tann
1722 Erstellung von Matrikellisten im kaiserlichen Auftrag mit allen jüdischen Bewohnern von Tann, Wüstensachsen, Weyhers und Gersfeld
1741 Ältestes erkennbares Grab auf dem Judenfriedhof „Am Rotenhauck“. Das letzte Begräbnis dort war 1937.
1760 Hinweis auf Bethäuser und Synagogen in der Rhön
1798 Marktrecht für alle jüdischen Händler
1803 Reichsritterschaften verlieren ihre Eigenständigkeit
1816/17 Die Rhön wird Teil des Königreichs Bayern. Das „Bayrische Judenedikt“ von 1813 tritt auch für die Rhön in Kraft. Folgen: Eingeschränktes Bürgerrecht; berufliche und rechtliche Erleichterungen; Militärpflicht; Annahme deutscher Familiennamen; Festschreibung der Anzahl von Juden vor Ort durch Matrikellisten
1866 Die Rhön wird preußisch
1869 Eigenständige jüdische Elementarschule
1871 Gleichstellung der Juden in der Verfassung des Deutschen Reiches
1879 Stadtbrand in Tann; der die Stadtkirche, 60 Wohnhäuser und die Synagoge zerstört
1880 Einweihung der neuen Synagoge
1914-18 Im 1. Weltkrieg kämpfen 21 jüdische Soldaten aus Tann für ihr „Vaterland“; 5 davon verlieren ihr Leben
Ab April 1933 zunehmende Ausgrenzung der Juden; Boykott der jüdischen Geschäfte; jüdische Beamte werden aus dem Staatsdienst entlassen; Juden verlieren ihr Wahlrecht
1935 Nürnberger Rassengesetze; Beginn der „Arisierung“; Übertragung und Enteignung jüdischen Besitzes
05.10.1938 Juden müssen ihre Reisepässe abgeben. Neue werden nur beschränkt ausgegeben und erhalten den Aufdruck „J“
9./10.11.1938 Reichspogromnacht; Zerstörung der Tanner Synagoge (wahrscheinlich schon am 8. Nov.); Verwüstung von Geschäften und Wohnungen; Inhaftierung von männlichen Juden im KZ Buchenwald, um die Ausreise aus Deutschland zu erzwingen
15.11.1938 Jüdische Kinder dürfen keine öffentliche Schule besuchen
Jan. 1939 Alle jüdischen Geschäfte werden geschlossen; Verbot aller Geschäftstätigkeit
01.09.1939 Beginn des 2. Weltkrieges
01.09.1941 Verpflichtung zum Tragen des „Gelben Sterns“
08.12.1941 Deportationen von Fulda in das KZ Riga; 134 Personen; unter ihnen die Familie von Leo, Lina und Horst Jüngster aus Tann
30.05.1942 Deportation von Fulda in das KZ Majdanek, Izbica und Sobibor, 36 Personen 
05.09.1942 Deportation von Fulda in das KZ Theresienstadt, Treblinka und Auschwitz; 73 Personen; darunter die letzte Tanner Jüdin Erna Esther Freudenthal
Der jüdische Bevölkerungsanteil von Tann betrug um 1900 ca. zwölf Prozent.
Im Jahre 1934 lebten in Tann 84 Juden (siehe: Chronik der jüdischen Schule zu Tann (Rhön)).
In der NS-Zeit wurden 54 jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen, die in Tann geboren wurden, gelebt oder gearbeitet haben, in den Vernichtungslagern ermordet.
An die jüdische Gemeinde erinnert heute noch die ehemalige Judenschule neben dem Elfapostelhaus und der jüdische Friedhof „Am Rotenhauck“.

Imhof, Michael: Juden in der Rhön. Petersberg 2021
Hohmann, Joachim S. (Hg.):  Chronik der jüdischen Schule zu Tann (Rhön). Frankfurt a. M. 1997
Dänner, Antje; Schuhmacher, Klaus: Juden in Tann – Eine Spurensuche. Kultur- und Geschichtsverein der Region Tann (Rhön) e.V., 2022, (Faltblatt)