Gedenkfeier für Tanner Juden

Presseveröffentlichung Osthessen-Zeitung.de vom 16.02.2023, Text: Sandra Limpert

– Anlässlich der Verlegung von Stolpersteinen zur Erinnerung an jüdische Tanner Holocaust-Opfer fand am Abend in der Rhönhalle eine Gedenkfeier statt, zu der Stadt und der Tanner Kultur- und Geschichtsverein (KGV) eingeladen hatten. Etwa 120 Gäste nahmen daran teil, unter anderem Nachfahren der Familie Freudenthal, die extra aus den Niederlanden angereist waren. „Superschön“ fand Bastiaan Van der Velden, dass so viele Interessierte erschienen waren.

Umrahmt von Bürgermeister Mario Dänner (links) und Antje Dänner vom KGV – die Zeitzeugen Dieter Herchenhan (Zweiter von links) und Carl-Otto Rommel. Fotos: Sandra Limpert

Die Verlegung von Stolpersteinen gab den Anlass für die Gedenkfeier in der Rhönhalle.

KGV-Vorstandsmitglied Antje Dänner stellte verschiedene jüdische Familien vor, über deren Schicksale sie in den vergangenen acht Jahren recherchiert hatte. Während die Stolpersteine den zu Nummern degradierten Menschen ihre Namen zurückgeben sollen, gelang es Antje Dänner, jenen mit Fotos und Details aus ihrem Leben ein Gesicht zu geben. Ein Foto zeigte Siegfried Moses im Kreis der Jazz-Kapelle, in der er spielte. Zeitgenossen hatten ihn trotz seiner leichten geistigen Behinderung als musikalisch talentiert beschrieben. Er starb in der Landesheilanstalt Haina, die an dem nationalsozialistischen Euthanasie-Programm beteiligt war. Gemeinsame Faschings- und Purimsfeiern, ein jüdischer Lehrer, der in der Stadtschule unterrichtete, jüdische Stadtverordnete und der Sportverein, der von zwei Juden mitbegründet worden war – es existieren viele Beispiele dafür, wie die Mitglieder der jüdischen Gemeinde vor etwa hundert Jahren zur Stadt gehörten und sich in die Gesellschaft einbrachten.

„Alle haben es gewusst“

Wie rasend schnell sich dies mit dem Aufstieg der Nazis änderte, zeigte Dr. Michael Imhof auf. Anhand von Kopien aus dem Tanner Stadtarchiv dokumentierte er, wie die jüdische Bevölkerung immer mehr aus dem gesellschaftlichen Leben gedrängt wurde. Schon vor der Pogromnacht 1938 wurden jüdische Gewerbetreibende ihrer wirtschaftlichen Grundlagen beraubt, so wie der Tanner Leo Jüngster durch Denunziation von Nachbarn. Zudem wurden sie von Kultur ausgeschlossen und in ihren Freiheiten immer stärker beschnitten. Anfänglich wurden die Deportationen im Einwohnermelderegister mit „in den Osten abgeschoben“ vermerkt, doch auf Anweisung des Landrates hieß es bald stattdessen „unbekannt verzogen“ oder „ausgewandert“. Die Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern waren gesetzlich legitimiert und wurden dokumentiert, beispielsweise die staatliche Einkassierung von Lebensversicherungen nach Deportationen. „Alle haben von den Schikanen und Demütigungen gewusst“, machte Imhof deutlich.

Bastiaan van der Velden hat – unter anderem im Tanner Stadtarchiv – über seine Vorfahren, die Familie Joseph Freudenthal, geforscht. Auch dem 53-jährigen Niederländer war es ein Anliegen, die Persönlichkeit der einzelnen Opfer herauszustreichen und rückte dafür Jette Freudenthal, eine ledige Schwester seines Großvaters, in den Fokus. „Ein prachtvoller Mensch, sehr einfallsreich, sprühend vor Phantasie“ ist sie laut einem Zeitgenossen gewesen. Sie wurde 1942 ins Ghetto Izbika transportiert und ermordet, ist auf dem Stolperstein zu lesen, der nun am Tanner Steinweg liegt.

Erinnerungen von Zeitzeugen

Bürgermeister Mario Dänner bedankte sich beim KGV und insbesondere bei Klaus Schuhmacher und Antje Dänner, „ohne die das Projekt Stolpersteine nicht hätte durchgeführt werden können.“ Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass heutige Generationen aus der Geschichte lernen.

„Man hätte erkennen müssen, dass ein Regime, das solche Verbrechen begeht, nicht lange Bestand haben kann“, formulierte Carl-Otto Rommel. Genau wie Altbürgermeister Dieter Herchenhan berichtete der 93-Jährige als Zeitzeuge von seinen Erinnerungen aus der Kindheit. Herchenhan schilderte zudem eine spätere emotionale Begegnung mit dem ehemaligen Tanner Rabbi Henry Okolica: „Als damaliger Bürgermeister hatte ich ihn bei seinem Besuch in den 90er Jahren im Namen der Stadt Tann um Vergebung gebeten“. Daraufhin habe Okolica die Hände vors Gesicht geschlagen und geantwortet: „Vergeben kann ich, aber vergessen nicht.“

Die Fuldaer Gruppe Yerlos Vej umrahmte den feierlichen Abend mit traditioneller jüdischer Musik und forderte am Ende beim Lied „Hewenu shalom alejchem“ das Publikum zum Mitsingen auf. „Wir wollen Frieden für alle“ lautet die Übersetzung des Refrains.

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